Was steckt hinter den Militärputschen?

Westafrika
In mehreren westafrikanischen Ländern hat seit 2020 das Militär geputscht. Warum daraufhin viele Menschen in Mali und Burkina Faso auf den Straßen tanzten und weshalb die Sanktionen der Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS unangemessen sind, erklärt Idayat Hassan, Direktorin des Zentrums für Demokratie und Entwicklung (CDD) aus Abuja in Nigeria.

Idayat Hassan ist Juristin und Direktorin des Zentrums für Demokratie und Entwicklung (CDD), einer in Abuja ansässigen Organisation, die sich mit der Vertiefung von Demokratie und Entwicklung in Westafrika befasst.
Seit 2020 gab es Militärputsche in Mali, Guinea und Burkina Faso – in Mali zweimal – sowie einen Putschversuch in Guinea-Bissau. Wie erklären Sie diese Häufung? Gab es Gemeinsamkeiten?
Ja, es gibt Ähnlichkeiten. Die Putsche sind das Ergebnis einer Reihe von Missständen, die auf den Abbau der Demokratie in der Region zurückgehen. Umstrittene, fragwürdige Wahlen haben eine große Rolle gespielt. Zum Beispiel hat in Guinea Präsident Alpha Conde ein Referendum organisiert, um die Verfassung zu ändern und sich eine weitere Amtszeit zu sichern. Das war mehr oder weniger ein Staatsstreich per Verfassungsänderung; bei den Wahlen hat er dann das Verfahren manipuliert. Ähnlich in Mali: Dort haben 2020 die umstrittenen Parlamentswahlen und das Vorgehen des Präsidenten Ibrahim Boubacar Keita (IBK), um jeden Preis zu gewinnen, zu Straßenprotesten geführt – in der Folge wurde Keita entmachtet. 

Welche Rolle spielt die Sicherheitslage in den Ländern?
Gewalt und öffentliche Unsicherheit sind ebenfalls Gründe für den Mangel an Vertrauen in die Demokratie. Vor den Putschen in Mali und Burkina Faso hatten die Regierungen die Kontrolle über weite Teile des Staatsgebiets an Aufständische und Gesetzlose verloren. Wenn eine demokratische Regierung nicht in der Lage ist, Lebensmittel, Medikamente, Wasser oder sanitäre Einrichtungen bereitzustellen, kommen die Menschen damit irgendwie zurecht, aber wenn sie nicht mehr für Sicherheit sorgt, können sie das nicht verkraften. Eine weitere Gemeinsamkeit ist: Alle diese Putsche wurden von Elite- oder Spezialkräften organisiert, die für den Schutz des Regimes ausgebildet waren, nicht für den Schutz der nationalen Sicherheit. Einige hatten Trainings in den USA oder Frankreich genossen und sind angeblich untereinander befreundet.  

Stimmt es, dass in Mali und Burkina Faso große Teile der Bevölkerung die Putsche begrüßen – und gibt es da Unterschiede zwischen Stadt- und Landbevölkerung?
Ja, nach den Putschen sah man die Bürger in den Hauptstädten in Mali und Burkina Faso auf der Straße tanzen und Freiheitsparolen zur Unterstützung des Militärs singen. Sie hofften, dass die neuen Machthaber die öffentliche Unsicherheit und die Serie von Korruptionsfällen beenden würden. Unzufriedenheit wegen Unsicherheit, Armut und Korruption ist weit verbreitet, aber die Menschen in ländlichen Gebieten sind davon stärker betroffen. Auf dem Land und in Grenzregionen sind die meisten Gemeinden ständig von Gewalt bedroht oder werden von Aufständischen kontrolliert.

Erwarten Sie, dass die Militärmachthaber die Lebensbedingungen der Bevölkerung verbessern wollen und können?
Sie sind erst seit kurzem an der Macht, daher kann man das noch nicht abschätzen. Aber aus Mali wird schon berichtet, dass die Zivilgesellschaft gewaltsamen und repressiven Maßnahmen der Militärjunta ausgesetzt ist. Es ist zu vermuten, dass die Putschisten im Laufe der Zeit härtere Sanktionen gegen die Bevölkerung verhängen werden, um ihre Macht zu festigen. Allerdings lässt die scharfe Ablehnung des französischen Einflusses und der allgemeine Unmut gegenüber den politischen Eliten in diesen Ländern auch auf den Willen schließen, einen gewissen Wandel herbeizuführen.

Die Afrikanische Union (AU) und die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS haben wegen der Staatsstreiche Sanktionen gegen Mali, Guinea und Burkina Faso verhängt. Ist das angemessen und klug?
Mit den Sanktionen gegen diese Länder könnten die AU und die ECOWAS sich selbst blamieren, weil sie ihre Prinzipien über die Forderungen der Menschen stellen. Die Putsche sollten verurteilt werden, aber die Lösungen müssen den Problemen angemessen sein. Die Entscheidung der ECOWAS, die Landgrenzen zu Mali zu schließen, birgt die Gefahr, dass gemeinsame Anstrengungen im Kampf gegen den Terrorismus gefährdet werden. Sie könnte auch die Sicherheitshilfe von außen, die humanitäre Hilfe und die Ernährungssicherheit weiter einschränken. Das könnte sich auf die ganze Sahelzone auswirken und die Krise dort weiter vertiefen. Die AU und die ECOWAS sollten etwas gegen die Unsicherheit tun und die demokratischen Prozesse stützen. Sie sollten also die Ursachen von Militärputschen bekämpfen, statt Sanktionen zu verhängen, wenn sie passiert sind.

Messen die AU und die ECOWAS mit zweierlei Maß, wenn sie Sanktionen gegen Putschisten verhängen, aber nicht gegen Präsidenten, die ihre Amtszeit willkürlich verlängern wie in der Elfenbeinküste?
Ja, man kann sagen, dass sie mit zweierlei Maß messen. Dies ist ein besorgniserregendes Zeichen für die tiefgreifenden Probleme mit Demokratie in Westafrika, und dafür spielt eine entscheidende Rolle, dass die ECOWAS unfähig ist, den Frieden zu sichern. Die Maßnahmen der ECOWAS spiegeln nicht die Sorgen der Bürger über antidemokratische Praktiken von Politikern wider. 

Was sollten die AU und ECOWAS unternehmen, damit Länder wie Mali oder Guinea echte Schritte Richtung Demokratie unternehmen?
Die AU und die ECOWAS sollten verantwortliche Staatsführung uneingeschränkt unterstützen und Führer für ihr Tun rechenschaftspflichtig machen. Die AU-Charta über Demokratie und Wahlen und die Protokolle der ECOWAS müssen überarbeitet werden, so dass Amtszeitbeschränkungen einbezogen sind. Nötig sind auch Reformen des Sicherheitssektors. Weiter muss man die Bürger wieder ermächtigen und zivilgesellschaftliche Organisationen stärken. Und wenn denn Strafen verhängt werden, müssen sie dauerhaft sein. Die regionalen Gremien Afrikas und auch internationale Partner haben sich bisher damit begnügt, Zusammenarbeit vorübergehend auszusetzen und gelegentlich Wirtschaftssanktionen zu verhängen. Diese Strafen werden aber in der Regel schnell wieder aufgehoben – entweder weil andere Fragen Vorrang haben oder bei den geringsten Anzeichen für Fortschritte. Diese Nachsicht hat es Putschisten ermöglicht, minimale Zugeständnisse zu machen, während sie sich darauf vorbereiteten, lange an der Macht zu bleiben.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

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